New Deal for Transport Infrastructure – Warum geht es beim
Thema Verkehrsinfrastruktur so schleppend voran?
Von Rainer Mertel, Geschäftsführer KombiConsult GmbH,
Frankfurt am Main
Seien wir ehrlich! Welcher Praktiker aus Güterverkehr und
Logistik mag noch das aktuelle Mantra zur Verkehrsinfrastruktur hören:
- Der
europäische Güterverkehr insbesondere auf Schiene und Straße sieht sich
zunehmend mit Kapazitätsengpässen konfrontiert.
- Das
erwartete weitere Wachstum des Sektors bis 2015/2020, das je nach Urheber der
Prognose bei 50 bis 80% liegen soll, wird die Situation weiter verschärfen. Der
Kollaps der Verkehrsinfrastruktur scheint programmiert.
- Durch
Optimierung könnten Straßen- und Schienengüterverkehrsunternehmen die
vorhandene Infrastruktur effizienter nutzen und einen Teil des Mengenwachstums
auffangen.
- „Am
Ende aller Tage“ sei jedoch ein massiver Ausbau der Verkehrswege praktisch in
allen europäischen Staaten unabdingbar.
Die Betroffenen mögen dieses Mantra nicht mehr hören,
nicht weil es unvernünftig wäre, sondern weil es an der Umsetzung fehlt. Dabei
sind Wirtschaft und Politik einig, dass eine leistungsfähige
Verkehrsinfrastruktur einer der Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit
der Wirtschaft jeden Landes darstellt. Auch gehört es zunehmend zum politischen
Gemeingut, dass die Logistikwirtschaft zu den Wachstumsbranchen Europas zählt
und immer mehr Arbeitsplätze schafft. Über wachsende Steuern und Abgaben könnte
die Branche die von ihr benötigte Infrastruktur quasi im Payback-Verfahren
selbst finanzieren.
In Kenntnis dieser Zusammenhänge werden dennoch in den
meisten EU-Mitgliedsstaaten Infrastrukturinvestitionen, die auch oder vor allem
den Bedürfnissen des wachsenden Güterfernverkehrs Rechnung tragen würden,
zeitlich gestreckt oder gar unterlassen. Zur Begründung dienen tatsächliche
oder vermeintliche Budgetrestriktionen und – zumindest nach Eindruck der
Logistikwirtschaft – falsch gesetzte Prioritäten der Regierungen.
Der Kombinierte Verkehr Schiene-Straße leidet unter den
Kapazitätsengpässen doppelt, da er die Infrastruktur beider Verkehrssysteme
nutzt. Das europäische Schienennetz gibt sowohl für nationale wie auch
internationale Ganzzugdienste immer weniger marktfähige Fahrplantrassen her.
Und im Vor- und Nachlauf auf der Straße stehen die Kombi-Kunden zur Rush-hour mit
den anderen Verkehrsteilnehmern vermehrt im Stau. Diesen Restriktionen stehen
im Grundsatz glänzende Marktperspektiven gegenüber. Nach unseren
Untersuchungen, die wir für die Internationale Eisenbahnvereinigung (UIC) im
Rahmen des Projektes DIOMIS durchgeführt haben, könnte der unbegleiteten
Kombinierte Verkehr in Europa im Vergleich zum Jahr 2005, als 125 Mio. Tonnen
befördert wurden, das Gesamtaufkommen bis 2015 auf 268 Mio. Tonnen mehr als
verdoppeln.
Warum geht beim Thema Verkehrsinfrastruktur also so wenig
voran?
Nach meinem Eindruck tragen symmetrisch gelagerte
Dilemmata auf Angebots- und Nachfrageseite der Verkehrsinfrastruktur zu diesem
Stillstand bei:
- Die Nutzer, die Verkehrsunternehmen, wissen
zwar, dass sie sich selbst kei-nen Gefallen tun, wenn sie die Inanspruchnahme
von Infrastruktur nicht optimieren. Als Gruppe sind die Nutzer aber darauf
bedacht, Druck auf dem „Infrastrukturkessel“ zu halten und den Staat nicht aus
seiner Verantwortung für den Ausbau der Netze zu lassen.
- Politik
und Verwaltung wiederum sind sich im Klaren, dass die Wettbewerbs-fähigkeit
eines Wirtschaftsstandorts von einer leistungsfähigen Infrastruktur abhängt.
Aber – unabhängig von Budgetzwängen – halten sie es nicht für zeitgemäß, nur
noch in Hardware (Asphalt und Stahl) zu investieren. Analog zu Energie und
Umwelt stehen auch Infrastrukturressourcen nicht unbe-grenzt zur Verfügung und
müssen effizienter genutzt werden. Tageszeitbezogene Mautsätze oder die
Verstetigung logistischer Ganglinien stehen deshalb im Fokus.
Beide Seiten – Politik und Wirtschaft - haben
nachvollziehbare Argumente. Jede scheint aber das Gefühl zu haben, dass – wenn
sie ihre Position verlässt – den Druck von der anderen Seite wegnimmt.
Wie könnte man aus dieser Konfrontation herauskommen?
Viel versprechend scheint mir die Beschäftigung mit dem in
den letzten 25 Jahren in Vergessenheit geratenen Prinzip der Reziprozität
(Gegenseitigkeit) - ein Prinzip, mit dem Ökonomen und Soziologien vertraut
sind. Im Kern geht es darum, dass jede Partei der anderen anbietet und sich
auch dazu verpflichtet, Schlüsselkomponenten aus dem „Katalog“ der Forderungen
innerhalb einer definierten Periode zu erfüllen. Es handelt sich also um einen
„Deal“ mit Zielvereinbarungen auf Gegenseitigkeit. Im Hinblick auf die Entwicklung
der Verkehrsinfrastruktur sollten Regierungen zum Beispiel ein bestimmtes
Investitionsvolumen für Vorhaben, die für die Güterverkehrswirtschaft relevant
sind, zusagen. Im Gegenzug würde sich die Gruppe der Nutzer verpflichten, durch
spezifische Aktionen innerhalb eines definierten Zeitraums die Effizienz der
Infrastrukturbenutzung um einen bestimmten Prozentsatz zu verbessern.
Die „Agenda 2015 für den Kombinierten Verkehr In Europa“,
die wir mit der UIC im Rahmen des Projektes DIOMIS erarbeitet haben, ist genau
von diesem Prinzip geleitet. Eisenbahnen und Kombi-Operateure können etwa durch
trassensparende Produktionssysteme, die Vereinheitlichung von Prozessen,
Qualitätssicherung, eine verbesserte Betriebsorganisation und den Einsatz von
Kapazitätsmanagementsystemen Mehrverkehre im bestehenden Schienennetz
generieren. Um das Volumen bis 2015 zu verdoppeln, müssten die Staaten aber in
zusätzliche Infrastruktur investieren.
Der Entwurf des deutschen „Masterplan Güterverkehr und
Logistik“ enthält in ähnli-cher Weise Elemente einer Vereinbarung zwischen
Staat und Wirtschaft. So erkennt der Verkehrsminister an, dass die Mittel für
Infrastrukturinvestitionen deutlich aufgestockt werden müssen oder dass durch
Telematik und eine verbesserte Baustellenorganisation die Kapazität der
Fernstraßen effizienter genutzt werden kann. Von den Verkehrsunternehmen wird
auf der anderen Seite erwartet, dass sie ihre Logistikkonzepte und
Betriebsorganisation überprüfen, um die Netze gleichmäßiger auszulasten.
Hier fehlt es eigentlich nur an den Unterschriften von
Staat und Wirtschaft. Kritiker mögen einwenden, dass wird wegen der Vielfalt
der Beteiligten nicht funktionieren. Aber hier sehe ich neben
„Pionierunternehmen“, die proaktiv handeln, die Verbände als Vertreter der
Mitgliedsunternehmen in der Verantwortung. Warum sollte also bei der
Verkehrsinfrastruktur nicht möglich sein, was etwa beim Recycling von
Verpackungen oder bei der europäischen Automobilindustrie (Reduzierung des
Schadstoffausstoßes von PKW) gelang.
Nach meinem Eindruck sind die gesellschaftlichen
Herausforderungen, wie sie bei der Entwicklung und Nutzung der
Verkehrsinfrastruktur, aber auch bei anderen Themen wie dem Klimaschutz
bestehen, nicht mehr allein durch eine „klassische“ Regulierungs- und/oder
Investitionspolitik der Staaten zu lösen. Es bedarf vermutlich häufiger
derartiger „New Deals“ oder Verträge zwischen Wirtschaft und Staat auf
Gegenseitigkeit.